In Unternehmen hält sich hartnäckig der Glaube an die gute Idee, das Vertrauen auf den Genius Einzelner und ihre Geistesblitze. Die Realität erfolgreicher Innovation wirkt gegen diese Vorstellung regelrecht trostlos. Wirklich gute Ideen gleichen Rohdiamanten. Sie sind unansehnlich, werden von Unkundigen leicht übersehen und entfalten ihren Glanz erst durch langwieriges, kundiges Schleifen. Es ist ein langer Prozess aus Versuch und Irrtum, missglückten Prototypen und kontinuierlichem Anpassen der eigenen Vorstellungen an die Wirklichkeit.
Wer die Mühe und Sachkenntnis, die für den Prozess des Ideenschleifens nötig ist, unterschätzt, wird beim Innovieren von Produkten und Dienstleistungen nicht weit kommen. Sichtbar wird das an den zahlreichen gescheiterten Initiativen von Unternehmen, die sich bemühen Neues jenseits ihres Kerngeschäfts zu schaffen.
Fast immer liegt das Misslingen an mangelnder Vorbereitung. Oder wie es der amerikanische Serienunternehmer Gary Vaynerchuk formulierte: „Ideas are shit. Execution is the game.“
Im Verlauf des vergangenen Jahres haben Johann Füller, Volker Bilgram und ich intensiv über die Ursachen dieses Scheiterns diskutiert. Nach und nach haben wir sechs typische Probleme identifiziert, die im Unternehmensalltag das Neue ausbremsen (siehe „Wie Innovationen Erfolg haben“, Havard Business Manager 4/2018).
Diese Fehler verteilen sich auf drei Abschnitte des Innovationsprozesses: Set-up, Value Creation und Value Capture.
Unter Set-up verstehen wir die Basis, die geschaffen wird, damit Innovationen entstehen und umgesetzt werden können. Je besser die Vorbereitung, desto besser die Umsetzung. Typische Probleme und mögliche Lösungen:
Etappendenken und mangelnde Risikobereitschaft im Topmanagement lähmen die Organisation.
- Wählen Sie die Innovationsthemen passend zur Strategie.
- Erwecken Sie die Vision aktiv zum Leben.
- Passen Sie die Risikobewertung an.
Innovatoren verfolgen die falschen Ziele.
- Liefern Sie Beweise für den Kundennutzen
- Geben Sie der Idee durch internes Innovationsmarketing Schwung.
Unter Value Creation verstehen wir den Prozess, in dem der eigentliche Wert des Produkts oder der Dienstleistung entwickelt wird. Typische Probleme und mögliche Lösungen:
Die klassische Hierarchie ist zu langsam.
- Gewähren Sie Autonomie.
- Geben Sie Macht ab.
Innovatoren bekommen keine internen Ressourcen.
- Definieren Sie neue Spielregeln für radikale Innovation.
- Motivieren Sie ihre Mitarbeiter durch Minibudgets.
Die Teams sind falsch besetzt.
- Nutzen Sie Design Sprints, um Talente zu identifizieren.
- Fördern Sie Ökosysteme aus Start-ups und Anwendern.
Ist der Wert eines Neugeschäfts entwickelt, muss er kommerzialisiert werden, das ist der Prozess des Value Capture. Erst wenn dies gelingt, kann man von einer Innovation sprechen. Typisches Problem und mögliche Lösungen:
Das Neugeschäft lässt sich nicht in die Organisation integrieren.
- Nutzen Sie das Kerngeschäft des Unternehmens als ersten Kunden
- Bauen Sie eine Übergabeorganisation auf, die die Kluft zwischen kreativer Innovationsmentalität und auf Effizienz getrimmter Produktionskultur schließt.
Wer also gezwungen ist, radikal Neues zu schaffen, sei es durch den Zwang zur Digitalisierung, erstarktem Wettbewerb oder andere Faktoren, muss vor dem Aufruf zur internen Ideenentwicklung eine Menge Hausaufgaben erledigen. Das ist vornehmlich die Aufgabe des Topmanagements. Ist der Rahmen einmal gesetzt, können in Ruhe Ideen entwickelt werden. Denn dann ist die Chance groß, dass aus den Rohdiamanten Preziosen werden.
Michael Leitl
Director Strategy bei TOI. Michael entwickelte für die deutsche Ausgabe der Harvard Business Review Innovations-, HR- und Marketing-Beiträge gemeinsam mit den Autoren aus Forschung, Beratung und Unternehmenspraxis. Er unterstützte das Innovationsteam des SPIEGEL-Verlags beim Aufbau des Innovationsmanagements und ist Mitgründer der Startups Pocketstory und Styled.by.