Von den Simpsons bis Seinfeld folgen Sitcoms und andere Serien immer dem gleichen, streng durchgetakteten Plan: In den ersten drei Minuten wird ein Protagonist eingeführt und ein paar Züge seiner Persönlichkeit gezeigt. Die Minuten drei bis acht entfalten die neuen Schwierigkeiten, mit denen die Figur in dieser Episode zu kämpfen hat und skizzieren die ersten Ansätze eines Plans, um die Probleme zu lösen. In den Minuten acht bis 13 passiert allerhand, um genau diesen Plan zunichte zu machen. Ab Minute 14 triumphiert die Hauptfigur über die Ereignisse – oder scheitert grandios. Die letzten drei Minuten einer Folge sind dem „Kicker“ gewidmet: Ein Ereignis, dass neue dramatische Verwicklungen ankündigt, die in der nächsten Episode behandelt werden.
Es ist ein simpler Code, der erfolgreichen Sitcoms zugrundeliegt: Ein Hauptplot (Story A) plus ein bis zwei Subplots (Stories B und C) teilen sich in in 3 Akte mit je 3 (manchmal auch 5) Szenen.
So schlicht die Darstellung wirkt – sie dient tausenden von Serien-Autoren als valides Handwerkszeug, um schnell und professionell passable neue Sitcom-Folgen zu produzieren.
Die Kunst der Vereinfachung
Schlichte Schemata wie das sehr erfolgreiche Sitcom-Prinzip konservieren in jahrelanger Praxis erprobtes Wissen. Sie finden sich in allen Branchen vom Journalismus, über die Medizin bis zur Arbeit von Ingenieuren. Für uns sind sie die Basis für erfolgreiche Workshop-Arbeit.
Eines der bekanntesten Beispiele eines solchen Schemas ist das 7-S-Modell von den McKinsey-Beratern Richard Pascale, Tony Athos, Tom Peters und Robert H. Waterman jr.. Sie stellten sich die Frage nach den Parametern, die über Erfolg und Misserfolg eines Unternehmens entscheiden. Ihr Management-Framework war jedoch nicht mehr als eine schlichte Kästchengrafik, die nur helfen sollte, die Zusammenhänge zu visualisieren und bei der Analyse von Stärken und Schwächen zu helfen.
Der Trick mit der Optik
Das änderte sich, als Alexander Osterwalder und Yves Pigneur 2010 ihr Business Model Canvas veröffentlichten. Sie kombinierten die Idee des Management-Frameworks mit der grafischen Gestaltung auf riesigen Postern, die in Workshops ebenfalls schon lange angewandt wurde. Der Clou liegt bei dem Modell also weniger im Inhalt. Wer das Business Model Canvas in eine reine Checkliste umwandelt, stellt schnell fest, dass es an sich wenig neue Informationen enthält. Jede Handwerkskammer hat ellenlange Listen und Anleitungen für das Erstellen eines Geschäftsmodells mit ähnlichen Leitfragen und Inhalten. Das Ergebnis dieser Anleitungen waren jedoch meist 30 und mehr Seiten lange Businessplan-Dokumente.
Die Idee, die Fragen in Blöcken zu gruppieren und so das Wesen eines Geschäftsmodells auf einen Blick darzustellen, ermöglichte neue Wege, damit zu arbeiten. Nun nämlich wird das große Template zum Spielfeld der Möglichkeiten: wie verändert sich die Geschäftslogik aus Innen- und Außenperspektive, wenn man statt eines Abo-Modells ein Razor-Blade-Modell anwendet? Oder mehrere Modelle miteinander kombiniert? Geschäftsmodell-Entwicklung und kreative Gruppenprozesse lassen sich vor einem großen Template im Posterformat an der Wand kombinieren.
Diese Herangehensweise übertrug der User-Experience-Experte James Kalbach 2012 auf die Arbeit mit Projekten und entwickelte das Project Canvas. Mit der Zeit entstanden so immer mehr Varianten für die Projektarbeit, Beispiele dazu gibt es auf der Seite OpenPM. Und die Universität St. Gallen entwickelte den Startup-Navigator – ebenfalls ein großflächiges Poster, um den Aufbau von Startups methodisch zu unterstützen.
Die Dekonstruktion einer komplexen Aufgabe in die entscheidenden Blöcke dient dazu, sich ganz auf einen Teilaspekt zu konzentrieren – und dabei nicht den Überblick zu verlieren. Heruntergebrochen auf die einzelnen Elemente erscheint jeder einzelne Schritt für sich fast trivial. In der Summe entstehen aber häufig bereits in kurzer Zeit erstaunlich anspruchsvolle Lösungswege. Das zeigen zum Beispiel auch Design Thinking Workshops, in denen nach einem ähnlichen Muster gearbeitet wird.
Je schlichter, desto schwieriger
Das Arbeiten mit Templates lässt sich auf nahezu jedes Problem anwenden. In unserer Praxis nutzen wir es, um komplexe Aufgaben in greifbare, kleine Probleme aufzuteilen. Zum Beispiel, um die einzelnen Aspekte der Innovationskultur eines Unternehmens sichtbar zu machen, aus Trendanalysen konkrete strategische Maßnahmen abzuleiten oder um Prozesse etwa für die Innovationsarbeit oder die Unternehmensorganisation zu entwickeln.
Ein neues Template zu entwickeln, ist in der Praxis oft schwerer, als die schlichten Darstellungen vermuten lassen. Je einfacher und eleganter das Poster wirkt, desto mehr Arbeit steckt häufig dahinter. Damit ein komplexes Template in einem Workshop gut funktioniert, muss das Problem verstanden, die konkrete Herangehensweise sehr gründlich durchdacht und in der Praxis erprobt werden. Diese Erfahrungen münden schließlich in die Weiterentwicklung. Teilweise gleicht diese Arbeit einem kniffligen Puzzle.
Auf diese Weise entwickelte Templates enthalten schließlich die Blaupause für eine Aufgabe in all ihren Facetten. Sie ermöglicht es selbst ungeübten Anwendern, ein Mindestmaß an Qualität zu erreichen. Wunder darf man sich natürlich keine erhoffen. Wie überall gilt auch hier: Erst die Übung macht den Meister. Der Erfolg der Streaminganbieter von Amazon bis Netflix zeigt jedoch: Selbst mittelmäßigen Autoren gelingt es, mit dem Template für eine Soap-Opera den süchtigmachenden Sogeffekt moderner Serien zu erzielen.
Michael Leitl
Director Strategy bei TOI. 15 Jahre betreute er Wissenschaftler und Berater bei der Veröffentlichung von neuen Innovations-, HR- und Marketing-Beiträgen bei der deutschen Ausgabe der Harvard Business Review. Er unterstützte das Innovationsteam des SPIEGEL-Verlags beim Aufbau des Innovationsmanagements und ist Mitgründer der Startups Pocketstory und Styled.by.