Agiles Arbeiten ist in vielerlei Hinsicht fordernd: Es ist strukturiert UND chaotisch, frei UND fokussiert, verantwortungsvoll UND teamorientiert. Nicht jedem ist bewusst, wie anders das Arbeiten mit Prozessen wie Design Thinking oder Lean Startup ist.
In einem unserer Ideation-Workshops für einen der weltweit größten Getränkehersteller folgten wir dem Design-Thinking-Konzept des Double Diamond. Das heißt, in der Ideenfindung konzentrieren sich die Teams zunächst darauf, eine möglichst große Masse an Ideen zu entwickeln (divergieren). Die Qualität spielt hier noch keine Rolle. Sie entwickelt sich erst mit der Zeit in den nachfolgenden Schritten (dem konvergieren und der Auswahl einer besten Idee oder Ideenkombination).
In diesem dreitägigen Workshop arbeiteten etwa 40 Teilnehmer zusammen, darunter auch Mitglieder des oberen Managements. Der Leiter des Innovationsmanagements, unser Auftraggeber, war noch nicht so lange im Geschäft und kannte die modernen Prozesse noch nicht.
Je länger die Ideenentwicklungsphase dauerte, desto unruhiger wurde er. Gegen Mittag des ersten Tages war sein persönlicher P-Point erreicht, er bekam Panik: Ihm waren die Ideen nicht gut genug, er forderte, den kompletten Workshop-Ablauf umzustellen.
Diese Angst, nach einem aufwändigen Workshop ein schlechtes Ergebnis abzuliefern, sehen wir häufig bei Innovationsverantwortlichen, für die agile Arbeitsprozesse noch neu sind.
Die Gründe sind nachvollziehbar: sie müssen sich vor ihren Vorgesetzten verantworten (Hierarchie), der Aufwand für einen Workshop mit vielen Mitarbeitern ist für ein Unternehmen eine große Investition an Zeit und Geld, im Unternehmen werden Sackgassen nicht als Erkenntnis, sondern als Scheitern angesehen (Experimentierkultur und Mindset) und schließlich erzählt das Ergebnis eines solchen Workshops intern eine Geschichte – sie fördert oder hemmt künftige Veranstaltungen dieser Art (Innovationskultur).
Keine Panik
Doch die Angst ist in der Regel unbegründet. Auch der Workshop bei dem Getränkehersteller brachte unter dem Strich ein solides Ergebnis hervor.
Das gilt für den seit Jahrzehnten erprobten Design-Thinking-Prozess immer dann, wenn die Voraussetzungen beachtet werden. Entscheidend für den Erfolg sind 5 Aspekte in der Vorbereitung, auf die Projektleiter und Facilitator achten müssen.
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- Team: Ein guter Mix ist hier entscheidend. Je nach Thema sollten Experten aus unterschiedlichen Gebieten im Projektteam sein. Geht es um die Entwicklung eines Geschäftskonzepts für ein neues Getränk, sind sowohl Lebensmittelchemiker als auch Vertriebsmitarbeiter, Marketingexperten, vielleicht ein Lieferant von Aromen etc. nötig. Wichtig ist hier: Tiefe Expertise UND soziale Kompetenz (um das Querdenkertum zuzulassen zum Beispiel).
- Fragestellung: Entscheidend für den Erfolg eines solchen Prozesses ist die Frage. Sie muss konkret genug sein, aber auch Spielraum für Veränderung lassen.
- Rhythmus: Ideen benötigen Zeit, um zu reifen. Ein gewisser Zeitdruck lässt viele Ideen schnell sprießen – doch um Qualität zu erzeugen braucht der Geist Ruhe. Nach der Ideation kann ruhig eine Woche Zeit vergehen, in der ganz andere Dinge erledigt werden. Auch ein Spaziergang während des Workshops hilft, um dem Bewusstsein die Zeit zu geben, das Erarbeitete zu sortieren und weiterzuentwickeln.
- Fokus: Ohne konsequente Moderation geraten Teams leicht in die Versuchung, vorzeitig über Lösungen nachzudenken – obwohl sie eigentlich noch kein umfassendes Problemverständnis entwickelt haben. Das fällt vielen schwer, aber es gehört zum Prozess.
- Unternehmergeist: Tödlich für das Generieren von Neuem ist eine Bewahrermentalität. Wer immer das Haar in der Suppe sucht – und findet – wird einen Ideation-Prozess eher stören.
Häufig erleben wir das Erreichen des P-Point als Ausdruck einer noch nicht so weit entwickelten Innovationskultur im Unternehmen. Innovation gelingt nicht immer im ersten Anlauf. Auch wenn die Ergebnisse eines Ideenentwicklungsprozesses auf den ersten Blick hinter den Erwartungen zurückbleiben, muss selbstkritisch gefragt werden: Waren es die richtigen Leute? Stellen wir die richtigen Fragen? Benötigen die ausgearbeiteten Vorschläge noch Zeit? Ist das Thema zu weit oder zu eng gefasst? Und gibt es Leitlinien, die die Entwicklung gezielt in die richtigen Bahnen lenken?
Steuerung und Kontrolle sind bei kreativen Prozessen nur eingeschränkt möglich. In der Vorbereitung soll möglichst alles hinterfragt und wohl durchdacht sein. Doch sobald die Ideenentwicklung im Rahmen eines Workshops läuft, gibt es nur einen Rat: Entspannen und dem Prozess vertrauen.
Maria Krüger
Innovation Strategist bei TOI. Maria ist studierte Wirtschaftspsychologin und hat einen Master in Business Development. Sie hat internationale Erfahrung in ethnografischer Nutzerforschung und der Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen. Sie ist ein Spezialist in der Erstellung von Insights und nutzerzentrierter Konzeptentwicklung. Sie liebt es Workshops mit innovativen Methoden zu moderieren und die Gruppe durch die Phasen des Design Thinking Prozesses zu führen.